Vier Postboten, eine Speisekarte vom Feinsten und ein Kranich

Eine Temporäre Installation von Arne Lösekann www.arneloesekann.de

Text und Rrecherche von Anne Simone Krüger http://annesimonekrueger.de

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Abbildung: Bildarchiv Denkmalschutzamt Hamburg. Kopie aus: Wilhelm Melhop: Alt-Hamburgische Bauweise: kurze geschichtliche Entwicklung der Baustile in Hamburg dargestellt am Profanbau bis zum Wiedererstehen der Stadt nach dem großen Brande von 1842 nebst ortskundlichen und lebensgeschichtlichen Angaben, 2. Aufl. Hamburg 1925, S.293.

Bildhauerschmuck an den Eingangsportalen, aufwendig geschnitzte Türen und hinter jeder dieser Türen ein Inhaber eines eigenen Bankkontos - der Grimm um 1700 war von Wohlstand geprägt, „Haus für Haus wohnen abwechselnd Weinkaufleute und Bankiers. [...] Der Überseehandel schafft reiche Schätze in die hohen Grimmspeicher: Zuckerrohr, Gewürze, Kakao... “. (1) Und sorgt für regen Kosmopolitismus. So gilt es im Grimm im 17. Jahrhundert als nobel, die Geschäftsbücher in holländischer Sprache zu führen. Ein Jahrhundert später macht sich der Englische Einfluss bemerkbar, die Hälfte der Bewohner des Grimm heißen Brian Broughton, William Hickes, Nathan Butler oder John Emerson. (2) Im 19. Jahrhundert ist es schick den Blick nach Frankreich zu wenden und die Firmen nennen sich nicht mehr „Wüstenfeld und Cie“ oder „Müller und Titzeck“ sondern ersetzen allesamt das kleine Wörtchen „und“ durch das Französische Pendant „et“. Man muss sich das vorstellen: Mehr als hundert Firmen die sich ein modisches „et“ in den Namen gezaubert haben, florierten noch um 1930 in einem einzigen Haus am Grimm, dem Luisenhof. Fünf Jahre später ist es nur noch knapp die Hälfte. Zu Blütezeiten sollen bei der Grimmpost am Dovenfleet morgens zwischen 7 Uhr und 9 Uhr um die 1.000 Telegramme eingegangen sein. (3)


„Vier Postborten bringen im Grimm die Morgenpost. [...] im Jahre 1935 beliefen sechs Postboten den Grimm, einer brachte Geld, einer Einschreibsachen und diese vier Postboten Briefe, Karten und Päckchen, nur für eine Straße, nur für den Grimm.“ Abbildung aus: Henny Wiepking: Chronik des Grimm. hrsg. von der Firma Otto Krahn, Hamburg 1961, S.19.

Heute ist vom Prunk des Grimm nicht allzu viel übrig, die vom Großen Brand 1842 verschonten alten Bürgerhäuser wurden 1943 dem Erdboden gleich gemacht. Auch das Alte Hamburger Bürgerhaus, ehemals Grimm 30, das man nach der Renovierung erst 1932 feierlich wiedereröffnet hatte. Durch die 1. Marzipanlotterie hatte man im Herbst 1930 die Summe zum Kauf des Hauses und seiner Herrichtung gewonnen. (4) Treibende Kraft war Dr. Ulrich Nabel, der über das Hamburger Bürgerhaus promoviert hatte – er gründete einen Verein und brachte mit besagter Lotterie den Kaufpreis von 310 000 Mark zusammen.
Mit dem Geld wurde das Haus nicht nur außen, sondern auch im Innern wiederhergerichtet und war bis zu seiner Zerstörung ein Hamburger Highlight. Und eines der bekanntesten Speiselokale Hamburgs: Stör mit Paradiesapfeltunke übergossen, gekrönt mit Trüffeln, dazu Edelpilze stand u.a. auf der Speisekarte und als Augenschmauß gab es dazu erlesenen Hausrat und Wappenfenster. (5) Glücklicherweise war Dr. Nabel überaus vorausschauend gewesen und hatte schon 1942 viele wertvolle Dinge ausgelagert – ein Teil davon befindet sich heute im Altonaer Museum. (6)


Abbildung: Bildarchiv des Demkmalschutzamt Hamburg.


Abbildung aus: Udo Pini: Zu Gast im Alten Hamburg. Erinnerungen an Hotels, Gaststätten, Ausflugslokale, Kneipen, Cafés und Varietés, München 1987, S.117.

Ein kleines Stück des alten Hamburgs jedoch gibt es im Grimm: das Portal der heutigen Hausnummer 12. Dort wurde im Auftrag der KG Hamburger Bürohaus-Verwaltungs GmbH in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz ein historisches Portal an einem neuen Bürohaus angebracht und so eine Verschmelzung von alt und neu geschaffen. (7) Wobei neu hier relativ ist: Die Mauern des Ursprungsbaus sind im Erdgeschoss erhalten und das 1965-70 errichtete Gebäude ist die Rekonstruktion eines Hauses im alten Stil mit Barockgiebel. Dem Portal jedoch, das allerdings aus der Renaissance stammt, (8) wurde an dieser Stelle ein zweites Leben geschenkt, nachdem es längere Zeit auf dem Hof des Museums für Hamburgische Geschichte schlummerte. Es stammt zwar nicht vom Grimm sondern aus dem Gängeviertel, hat hier aber ein neues Zuhause in Nachbarschaft von Verwandten gefunden: nur wenige Schritte weiter finden sich auch an der Katharinenkirche alte Portale. (9)


Ein kleines Stück vom alten Hamburg. In: Hamburger Abendblatt vom 28.11.1972, Archivmaterial des Denkmalschutzamt Hamburg.

Ein weiterer visueller Brückenschlag zwischen der Katharinenkirche und der Grimm findet sich an der Hausnummer 10. Dort ist links des Eingangs das Relief eines Kranichs angebracht – der gleiche Vogel findet sich als Stütze des Taufbeckens in der Katharinenkirche. Es ist das Symbol des heutigen Inhabers, der Firma Krahn-Chemie. Die Anfänge des Unternehmens, das u.a. die Autoindustrie mit allem Notwendigen für die Autolackierung beliefert, führen zum Grimm 14, wo die Firma bereits 1923 ansässig war. Otto Krahn (1879 – 1939) entwickelte eine frühe Form des Recyclings und handelte mit Altgummi, das aufgearbeitet wurde. Später übernahmen seine Söhne die Leitung und kauften das Haus Grimm 10, das bis heute der Stammsitz der Unternehmensgruppe ist. Ihr Engagement als Kunstmäzene verbindet sie eng mit der Katharinenkirche – die Familie stiftete im Zuge des Wiederaufbaus die vier Glocken und 1984, anlässlich des 75jährigen Jubiläums der Firma Krahn, die Chororgel. (10) Ein Blick auf diese Orgel lohnt, also packen wir die Gelegenheit am besten beim Schopfe und gönnen uns eine Verschnaufpause vom Trubel der Stadt in der Stille des Kirchenraums...

 

 


(1) Henny Wiepking: Chronik des Grimm. hrsg. von der Firma Otto Krahn, Hamburg 1961, S.11.

(2) Vgl. ebd., S.16.

(3) Vgl. ebd.

(4) Vgl. ebd., S.25.

(5) Vgl. Udo Pini: Zu Gast im Alten Hamburg. Erinnerungen an Hotels, Gaststätten, Ausflugslokale, Kneipen, Cafés und Varietés, München 1987, S.116f.

(6) Vgl. Wiepking 1961, S.25.

(7) Vgl. Ein kleines Stück vom alten Hamburg. In: Hamburger Abendblatt vom 28.11.1972, Archivmaterial des Amts für Denkmalschutz.

(8) Vgl. Hermann Hipp: Überarbeiteter Textbaustein B 8 0 N49, Grimm 12, Archivmaterial des Amts für Denkmalschutz.

(9) Vgl. Ein kleines Stück vom alten Hamburg. In: Hamburger Abendblatt vom 28.11.1972, Archivmaterial des Amts für Denkmalschutz.

(10) Vgl. St. Katharinen. Die Hauptkirche und ihr Viertel – eine Wiederentdeckung. hrsg von der Hauptkirche St. Katharinen, Hamburg 2013, S.234.

beteiligte: 

künstler: arne lösekann http://www.arneloesekann.de

text und recherche:  anne simone krüger http://annesimonekrueger.de

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