Ein Märchenschloss am Münzplatz

>>>> für die nüchternen Hanseaten eine Burg

Gerade als Stadtbewohner sollten wir, statt auf die eigenen Füße zu schauen, gelegentlich den Blick nach oben richten. Denn dann bieten sich immer wieder ungeahnte Überraschungen im urbanen Alltag. Plötzlich stehen wir in unmittelbarer Nähe des Hamburger Hauptbahnhofes vor einem verwunschenen Märchenschloss mit Türmchen, Erkern, Säulen und einer aufwändig geschmückten Fassade inklusive mittelalterlichen Skulpturen, die über den Eingängen thronen und ein Auge auf das Geschehen unter sich werfen. Es war einmal, so könnte man die Geschichte des Märchenschlosses am Münzplatz 11/Repsoldstraße 45 beginnen, eine Straße mit dem Namen eines Herrn, der den Blick nach oben zum Beruf gemacht hatte. Johann G.R. Repsold, der von 1771 bis 1830 lebte, war Gründer der Hamburger Sternwarte. Bereits 1799 gründete er – parallel zu seiner Karriere als Wassertechniker und Oberspritzenmeister des gesamten Hamburger Löschwassers – eine kleine Manufaktur für astronomische und geodätische Instrumente. Die Firma A. Repsold & Söhne wurde zu einem führenden Unternehmen in der Herstellung von Fernrohren und bestand bis 1919. Sein größtes Fernrohr schenkte Repsold der Stadt Hamburg: 1825 wurde die von ihm initiierte Sternwarte an der Stelle, an der sich heute das Museum für Hamburgische Geschichte befindet, errichtet und von Repsold mit den entsprechenden Gerätschaften ausgerüstet. Zu Ehren dieses Mannes, der es nicht lassen konnte, nach oben zu schauen, wurde auf dem Mond der Repsoldkrater benannt.

Doch zurück auf die Erde. Die Repsoldstraße lag nicht immer so zentral. Hammerbrock wurde erst spät erschlossen, die Wiesen mussten zunächst einmal trockengelegt werden, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts systematisch vorangetrieben wurde. Dann jedoch erblühte das Viertel. Zeugnis davon ist die von der Repsoldstraße abgehende Rosenallee: Man stelle sich vor, dass das Münzviertel einst ein Rosengarten war! Allzu lange hielt die Idylle jedoch nicht. Bereits 1855 ist in einem Eintrag des Staatsarchives die „Parfümerie- und Toilettenseifen-Fabrik von Karl Richard Tetzner und Karl Hermann Tetzner an der Repsoldstraße Nr. 43/45“ vermerkt. Die Seifenblasen platzten 1886 – in dieses Jahr ist der Bau der heutigen Münzburg zu datieren. Den Namen verdankt die Burg, genauso wie der Münzplatz, der Münzprägerei, die gegenüber bis Anfang der 80er Jahre Mark und Pfennig prägte. Wo Geld ist, dort muss auch für Sicherheit garantiert werden. Die vier roten, imposanten Ziegelbauten der Münzburg beherbergten u.a. eine dem Bürgermeister zugedachte Wohnung mit rund 100 Quadratmetern, sechs Zimmern und Kamin. Wo der Bürgermeister selbst vor Ort ist, da geht es mit rechten Dingen zu, war damals die Devise. Symbolisch untermalt wurden der wirtschaftliche und gesellschaftliche Erfolg, der vom Münzviertel ausgehen sollte, durch die Skulpturen an der Hauptfassade. Dort sieht man, wenn man den Blick nach oben richtet, über dem Eingang am Münzplatz einen Patrizier mit Barett, Dokumentenrolle und Börse am Gürtel. Der Eingang an der Repsoldstraße 45 wird von einer Dame mit weiten Röcken und einem Spinnrocken in der Hand bekrönt. Neben dem Erfolg verkörpern die beiden Figuren auch Fleiß und Bescheidenheit.

Die mittelalterlichen Gewänder passen perfekt zur neogotischen Architektur – 1886 hatte man einen Hang zur Nostalgie und projizierte die Werte, die man sich wünschte, ins Mittelalter.

Entworfen wurde die Münzburg vom Architekten Johann Heinrich Martin Brekelbaum, auch ihm ist in Hamburg eine Straße gewidmet, der Brekelbaums Park, in welchem Herr Brekelbaum hübsche Landresidenzen für wohlhabende Hamburger baute. Die Münzburg dagegen sollte nicht nur wohlhabenden Bürgern, sondern auch neuen Arbeitskräften für Hamburg, eine Heimat bieten, denn Wohnungen waren knapp und Arbeiter wurden dringend benötigt. Mit der Verwendung von dunkelroten und grün glasierten Backsteinen für die Fassade der Münzburg, durch Gesimse und Konsolen aus Sandstein nobilitiert, und der Mischung aus Wohnungen und Arbeitsstätten, von denen letztere sich auch um den ebenfalls detailreich gestalteten Innenhof gruppieren, sollten neue Bewohner nach Hamburg gelockt werden.

Trotz der aufwändigen Gestaltung blieb Brekelbaum bei diesem Großbauprojekt im Budget: Die Baukosten beliefen sich auf schlappe 321 000 Mark. Zum Vergleich: Als die SAGA das Gebäude 1996 von der Stadt kaufte investierte sie 5,3 Millionen Euro. Auch die Sorgfalt, die Brekelbaum auf die Kreuzgratgewölbe im Eingang und in den Läden verwendete, war im Übrigen ungewöhnlich. Umso schöner, dass sie in ihrer ursprünglichen Erscheinung erhalten geblieben sind, obwohl beide Läden, bevor sie zu Galerien und Kunstorten wurden, eine wechselvolle Geschichte durchlebten.

Die xpon-art gallery, soviel lässt sich rekonstruieren, tritt das Erbe der Metzgerei Jacob Hess und der Wäscherei Eckhold, wie auch eines Portugiesischen Feinkostladens an.

Die Wandmalereien der Metzgerei sind in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten geblieben. Das volle Ausmaß des reichhaltigen Dekors wird auf einem gezeichneten Querschnitt durch die Räume aus dem Jahr 1899 deutlich.

Vom Portugiesen gibt es nur noch Fotos – der heute im xpon befindliche Tresen entstammt nicht dessen Inventar, sondern wurde 2006 von zwei Architekturstudenten eingebaut, dann vor einigen Jahren im Rahmen von Filmarbeiten umgebaut und vom Galerie-Team als sich stimmig in das historische Interieur einfügend sowie praktikabel befunden. Filmteams haben den Ort nach wie vor im Auge, es dürfte kaum einen Location-Scout geben, der das einmalige Ensemble nicht auf dem Zettel hat, dass 1999 einen Eintrag in die Denkmalliste erhielt. Damit ist der Ort nicht nur mit zahlreichen Erinnerungen besetzt, sondern besetzt selbst einen Platz auf der Liste kulturellen Erbes. Zumal man munkelt, dass in den Studenten-WGs in den hochherrschaftlichen Wohnungen in den letzten Jahrzehnten die besten Partys gefeiert wurden....

Text: Anne Simone Krüger, Kunsthistorikerin

Fotos: Denkmalschutzamt, Klaus Friese, Hamburg Bildarchiv